ODESSA, UKRAINE

Anna ist der Hölle entkommen – in ihren Augen erkennt man, dass sie dort war – und es ist noch nicht sehr lange her. Während der endlosen Nächte, in denen Männer ihren Körper missbrauchten, schmerzte jeder Zentimeter von ihr, ihre Seele verschloss sich immer mehr vor der realen Welt – sie konnte nichts mehr ertragen.

Es ist erst einige Monate her, seitdem sie der Sexsklaverei entkommen konnte. Doch langsam keimt wieder Hoffnung in ihr – es gibt Aussicht auf ein wenig Freude. Anna schaut sehnsüchtig auf das Telefon, als ob ihre Ohren das erwartete Klingeln überhören könnten.

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Irix und Oxanna spielen Karten mit Anna in ihrem
gemeinsamen Schalfzimmer

Zwei Katastrophen haben ihr Leben entscheidend beeinflusst. Die eine betraf die Gesellschaft im Ganzen: Der Zusammenbruch der Sowjetunion. Nach der Schließung der Fabrik für Elektroteile von Kamenets-Podolsky wurden ihre Eltern, wie fast alle Familien aus der Stadt, arbeitslos. Dann kam auch noch der Tod ihres Vaters dazu. Er war Ingenieur, aber aufgrund der wirtschaftlichen Krise dazu gezwungen, sich erst als Maurer und dann als Bauarbeiter den Lebensunterhalt zu verdienen. Sein Herz versagte.

Die Kombination aus dem Ende von beidem, dem Wohlfahrtsstaat und der Unterstützung durch ihre Familie führte Anna im freien Fall in die Armut. Es gab keine Zukunft und auch keine Drogen konnten das ändern.

Dann vermittelte ein Bekannter ihr einen Job als Hausmädchen in einem Hotel im Ausland. Es schien ein Ausweg aus ihrer Notlage.

Mehr als vier Millionen Frauen und junge Mädchen werden weltweit zur Prostitution gezwungen. Anna ahnte nichts von solchen Verbrechen, noch, dass sie genau in das Opferprofil passte: aufgewachsen in einer Kleinstadt, jung und arbeitslos.

Ihr Bekannter bezahlte ihr die Reise und dann wurde sie auf eine abenteuerliche Fahrt in Pickup-Trucks geschickt. Das so genannte Hotel, in dem sie als Hausmädchen arbeiten sollte, entpuppte sich als Apartment. Anna wurde dort eingesperrt – ein Wachmann brachte sie zu den Kunden, die in einem Hotel warteten und brachte sie auch wieder zurück ins Apartment. Tagsüber wurde sie von zwei, manchmal auch drei Männern missbraucht, nachts waren es fünf oder sechs.

„Ich fühlte, dass ich ein Niemand war, ein Nichts“, sagte sie.

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Anna schläft friedlich in ihrer Unterkunft, wo sie auch ein
Berufstraining und emotionale Unterstützung erhält


Einige Mädchen in Annas Situation verbrachten Jahre in Gefangenschaft, bis sie „ausrangiert“ wurden. Sie hatte mehr Glück. Nach einigen Monaten wurde sie völlig erschöpft zu einem Kunden gebracht, der ihr erlaubte zu schlafen. Sie schlief mehrere Tage. Er nahm sie mit an die Küste und dann konnte sie nicht mehr zurück.

Eine Zeit lang arbeitete sie dann als Kellnerin in einem Restaurant, wo sie sich in Reda, einen einheimischen Jungen, verliebte. Aber als die Polizei sie aufgriff, wies man sie aus.

„Als ich sah, wie der Flughafen immer kleiner wurde und dann verschwand, dachte ich, es sei das Ende“, sagte sie. Es war Winter, als Anna in der Ukraine landete. Sie trug Sommersachen und Sommerschuhe und besaß kein Gepäck. Sie sah aus wie eine Gefangene, die auf Anweisungen wartet. Zwei Sozialarbeiterinnen brachten sie dann in ein Heim für Frauen, die ähnliche Schicksale erlebt haben. Im Heim erhält sie eine Berufsausbildung und Zuspruch, damit sie ihr Leben neu anfangen kann. . 

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Anna mit ihreren Mitbewohnerinnen als sie gemeinsam
essen zubereiten

Anna schaut auf das Telefon. Sie wartet darauf, dass Reda seinen Flug nach Odessa bestätigt. Unfähig, die Trennung über die lange Distanz auszuhalten, hat er nach und nach das Geld für das Flugticket gesammelt. Dieses Mal wird er nur zu Besuch kommen, aber wenn er mehr Geld hat, sagt er, will er sie heiraten.

Er möchte sie zurückbringen in sein Land, sagt sie, zu dem Meer und dem Glück, das sie nur flüchtig kennenlernen konnte.

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Oxanna, Irinna und Anna machen einen ihrer wenigen
Ausflüge zume Schwarzen Meer

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tour 2007-2010

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"Chasing the Dream" tourt durch Deutschland - und erfährt dabei prominente Unterstützung u.a. von CULCHA CANDELA, MIA und Markus Kafka (MTV):

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